Wer eine hohe Lebensversicherung abschließen will, muss sein Erbgut zuvor auf Krankheiten prüfen lassen. Auch Arbeitgeber können unter Umständen solche Tests verlangen. Das sieht der Gesetzentwurf zur Gen-Diagnostik vor. Von Klaus-Peter Görlitzer Angekündigt wurde es schon vor über zehn Jahren, doch bisher ist es ein Phantom geblieben: ein Gesetz zur genetischen Diagnostik. Nun scheint Rot-Grün ernst zu machen, die Regierung will in den nächsten Monaten ein detailliertes Regelwerk in den Bundestag einbringen. Ein "Diskussionsentwurf" des Bundesgesundheitsministeriums (BMGS) kursiert bereits. Ganz vorn steht das "Diskriminierungsverbot": Wegen seiner genetischen Eigenschaften dürfe niemand benachteiligt werden. Auch wer einen Gentest ablehne, dürfe deshalb nicht abgestraft werden. Dieser Grundsatz gilt jedoch nur im Prinzip – Ausnahmeregeln können ihn im Alltag unterlaufen. Beispiel Versicherungen: Grundsätzlich dürfen sie ihren Kunden keine molekulargenetischen Untersuchungen abverlangen, weder vor noch nach Vertragsabschluss. Auch untersagt der BMGS-Entwurf der Assekuranz, Ergebnisse früherer Genchecks einzusehen oder zu verwerten. Dann folgt die Einschränkung: Nicht gelten sollen die Verbote nämlich, wenn Interessenten eine Leistung von mehr als 250.000 Euro oder über 30.000 Euro Jahresrente vereinbaren möchten. Dies betrifft Lebens-, Berufsunfähigkeits-, Erwerbsunfähigkeits- und Pflegerentenversicherungen. Die geplante Ausnahme folgt einer Selbstverpflichtung der deutschen Versicherungswirtschaft, die bis 2011 gilt. Auch Arbeitgeber können mit dem Gesetzentwurf zufrieden sein. Bei Bewerbern sind Gentests zwar tabu. Anders bei arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen: Hier soll es erlaubt sein, mittels genetischer Analysen Beschäftigte herauszufiltern, die bei "gesundheitsfährdenden Tätigkeiten" besonders krankheitsanfällig sein könnten. Der Check im Erbgut kann existenzielle Folgen haben: Wer als angebliche "Risikoperson" enttarnt wird oder den Test von vorneherein verweigert, darf firmenintern versetzt oder gar entlassen werden. Dies, betonen die Autoren des Gesetzentwurfs, verstoße keineswegs gegen das Benachteiligungsverbot. Nicht nur Firmen, auch Behörden interessieren sich für Erbanlagen von Mitarbeitern. Das belegen Erfahrungen der in Duisburg ansässigen Selbsthilfeorganisation "Deutsche Huntington-Hilfe" (DHH). Sie engagiert sich für Menschen, die von der Huntingtonschen Krankheit betroffen sind – als Patienten oder Angehörige. Ein Gentest kann die vererbbare Anlage ermitteln, doch nicht voraussagen, wann die auch "Veitstanz" genannte Erkrankung ausbrechen und wie sie verlaufen wird; erste Symptome treten meist im vierten oder fünften Lebensjahrzehnt auf, schlimmstenfalls drohen Demenz und körperlicher Verfall. Die DHH-Vorsitzende Christiane Lohkamp berichtete dem Nationalen Ethikrat im September 2003, mehrere Behörden hätten sich bereits geweigert, gesunde Bewerber zu verbeamten, weil Verwandte wie Vater oder Großvater an Huntington erkrankt seien. In Bayern seien zwei junge Polizisten abgelehnt worden, in Hessen eine Lehrerin. Ihr hatte das Schulamt sogar nahe gelegt, einen Gentest vornehmen zu lassen. Werde dabei die vermutete Genveränderung nicht festgestellt, könne sie ja doch noch zur Beamtin ernannt werden. Solches Vorgehen hält Lohkamp für eine Zumutung, sie fragt: "Wird hier nicht indirekt Druck ausgeübt, sich der genetischen Diagnostik zu unterziehen, um sich damit zu rehabilitieren?" Die Lehrerin
gab nicht
nach. Sie klagte, mit Erfolg: Im Juni 2004 verpflichtete das
Verwaltungsgericht
Darmstadt das Land Hessen, sie als Beamtin auf Probe anzustellen. © KLAUS-PETER GÖRLITZER, 2005 Alle Rechte vorbehalten Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Autors |
Rheinische Post 2. Februar 2005 Mit
Genproben forschen
Genetische
Reihenuntersuchungen
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