Die deutschen Versicherer machen ernst: Ergebnisse "prädiktiver Gentests" möchten sie bei ihren Kalkulationen dann berücksichtigen, wenn die gewünschte Lebensversicherungssumme 250.000 Euro überschreitet oder die angestrebte Jahresrente in der Berufsunfähigkeits-, Erwerbsunfähigkeits-, Unfall- oder Pflegerentenversicherung über 30.000 Euro liegt. Von Klaus-Peter Görlitzer Liegen die vereinbarten Vertragssummen niedriger, wollen die Unternehmen darauf verzichten, Ergebnisse von Gentests einzusehen oder zu verlangen. Solche Zurückhaltung bei "Risikoprüfungen", die auch beim Abschluss privater Krankenversicherungen geübt werden solle, gelte bis mindestens Ende 2011. Grundlage ist eine "Freiwillige Selbstverpflichtung", welche der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) im November 2001 bekannt gegeben hatte. Ihr Moratorium, zunächst begrenzt bis Ende 2006, haben die Versicherer laut Mitteilung der GDV-Pressestelle im Oktober 2004 um fünf Jahre verlängert. Unter "prädiktiven Gentests" versteht der GDV solche, die "Aussagen zum Ausbruch von Krankheiten noch gesunder Menschen möglich machen", beispielsweise Tests auf das Vorliegen von Genmutationen, die nach Ansicht von HumangenetikerInnen ursächlich sein sollen für Veitstanz oder bestimmte Varianten von Brustkrebs oder Alzheimer. Zwar räumten die Versicherer 2001 ausdrücklich ein, dass "sich Mythen um die Perspektiven prädiktiver Gentests ranken". Trotzdem ist ihnen das Orakel aus dem Reagenzglas bei hohen Vertragssummen willkommen - angeblich, um die Versichertengemeinschaft zu schützen. Tatsächlich bezweckt die rechtlich unverbindliche Selbstverpflichtung den Schutz von Geschäftsinteressen: Die GDV-Unternehmen wollen Bundestag und Bundesrat offensichtlich davon abbringen, die Nutzung von Gentests für Versicherungskalkulationen kategorisch per Gesetz zu verbieten. Die rot-grüne Bundesregierung hatte wiederholt Regelwerke zur genetischen Diagnostik angekündigt, ihren Worten aber keine Taten folgen lassen. Zur Vorgeschichte seines Vorstoßes teilt der GDV Ende 2001 mit: "In Gesprächen mit der Bundesministerin für Justiz kamen die deutschen Versicherer nun überein, mit der freiwilligen Selbstverpflichtungserklärung Ängste in der Bevölkerung abzubauen." Angesichts solcher Fingerzeige wäre es eine Überraschung, wenn Rot-Grün sich doch noch trauen würde, Anwendung und Nutzung von Gentests gesetzlich zu beschränken.© KLAUS-PETER GÖRLITZER, 2004 Alle Rechte vorbehalten Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Autors |
aus: BIOSKOP Nr. 16 (Dezember 2001) aktualisierte Version Okt. 2004
Gentest-Gesetz
in dieser Wahlperiode? Seit Anfang der 1990er Jahre wurde es immer wieder angekündigt, doch bisher blieb es ein Phantom: ein Gesetz zur Regulierung genetischer Diagnostik. Zwar legte das Bundesgesundheitsministerium Ende 2005 einen "Diskussionsentwurf" vor. Doch ein halbes Jahr später war Rot-Grün am Ende – und damit auch das Gesetzesvorhaben. Möglich, dass Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ihren alten Entwurf bald aus der Schublade holen wird: Denn laut schwarz-roter Koalitionsvereinbarung soll in dieser Legislaturperiode ein Gesetz zu genetischen Untersuchungen in den Deutschen Bundestag eingebracht werden.
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