Belgien legalisiert PatientInnentötungen und geht dabei noch weiter als das niederländische Vorreitergesetz Belgien erlaubt – neben den Niederlanden – als zweiter Staat der Welt, dass PatientInnen sich von ÄrztInnen töten lassen können. Ein entsprechendes "Euthanasiegesetz" beschloss das belgische Parlament am 16. Mai, mit der Stimmenmehrheit von Liberalen, Sozialisten und Grünen. Anschließend erklärte die christdemokratische Opposition, sie werde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen das Gesetz klagen. Von Klaus-Peter Görlitzer Das belgische Euthanasiegesetz betrifft noch mehr Menschen als sein "Vorbild", das seit April dieses Jahres in den Niederlanden gilt. In Belgien sollen ÄrztInnen nicht nur physisch schwer Kranke töten dürfen, sondern außerdem auch Menschen mit "psychischen Leiden". In allen Fällen wird – neben der Einwilligung des Patienten – vorausgesetzt, dass sein Zustand "dauerhaft", "medizinisch aussichtslos" und "unerträglich" sein soll. Das Gesetz verlangt nicht, dass sich der Sterbewillige bereits im Sterbeprozess befinden muss; seine Lebenserwartung kann, zumal bei "psychischen Leiden", durchaus noch Jahre oder Jahrzehnte betragen. Das belgische Parlament will also bewusst nicht "Hilfe" im Sterben ermöglichen, sondern das gezielte Herbeiführen des Todes. Auf welche Weise künftig legal getötet werden soll, steht nicht im Euthanasiegesetz. Die Option, straffrei umgebracht zu werden, gilt für Erwachsene und "mündige Minderjährige". Die Einwilligung in die eigene Tötung gilt als rechtsverbindlich, wenn der Kranke sie wiederholt, freiwillig und schriftlich erklärt hat und im Moment der Unterschrift einsichtsfähig und über seinen Zustand informiert war. Falls er zum Schreiben körperlich nicht in der Lage ist, darf der Patient eine andere Person ermächtigen, den Tötungsantrag stellvertretend für ihn zu unterzeichnen. Wer aufgrund einer schweren Erkrankung oder eines Unfalls nicht mehr bei Bewusstsein ist, kann ebenfalls zum Euthanasie-Kandidaten werden. Voraussetzung ist, dass MedizinerInnen den Zustand als "irreversibel" einschätzen und der Betroffene in einer Verfügung vorab erklärt hat, dass er in einem solchen Falle getötet werden wolle. Die Erklärung darf nicht älter sein als fünf Jahre; Einzelheiten über Aufbewahrung und Registrierung solcher Dokumente sollen noch festgelegt werden. Nach Unterzeichnen des Euthanasie-Antrags muss mindestens ein Monat verstreichen, bevor der Tötungsakt vollzogen werden darf. Der dazu bereite Arzt muss zudem zwei MedizinerInnen konsultiert haben, die ebenfalls prüfen sollen, ob der Zustand des Sterbewilligen aussichtslos sei. Spätestens vier Tage, nachdem der Euthanasiearzt den Sterbewilligen ums Leben gebracht hat, muss er die Umstände dokumentiert und vorformulierte Standardfragen beantwortet haben. Anschließend überprüft eine 16-köpfige Kommission aus MedizinerInnen und JuristInnen, ob die Tötung, gemessen an den Maßstäben des Euthanasiegesetzes, rechtens war. Nur wenn mindestens zwei Drittel der Kommissionsmitglieder bezweifeln, dass der Euthanasiearzt gesetzestreu gehandelt hat, müssen sie die Staatsanwaltschaft einschalten; in allen anderen Fällen gilt der Tötungsakt als legal. Kein Mediziner muss töten
Fast überall in Europa haben PolitikerInnen, ÄrztInnen und Sozialverbände gegen die belgischen Tötungsregelungen protestiert. Trotzdem sollen sie nach der Sommerpause in Kraft gesetzt werden. Für diesen Fall hat die flämische Christlich-Soziale Partei bereits angekündigt, das Euthanasiegesetz vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte überprüfen zu lassen. Sollten die Straßburger Richter an ihr jüngstes Urteil zum "Fall Pretty" anknüpfen, dürften die Chancen einer Klage nicht schlecht stehen. © KLAUS-PETER GÖRLITZER, 2002 Alle Rechte vorbehalten Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Autors |
BIOSKOP Nr. 18 (Juni 2002)
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Regeln zur Lebensbeendigung "auf Wunsch" in den Niederlanden, Belgien und Dänemark |