Regeln zur Lebensbeendigung
"auf Wunsch"
in den Niederlanden,
Belgien und Dänemark
Von Klaus-Peter Görlitzer
Frau Hollenstein hat eben in beeindruckender Weise dargestellt, wie die Euthanasielobby in der Schweiz mit Worten und Taten agiert. Ich denke, wir sollten die dortige Entwicklung sehr genau beobachten. Es wäre nämlich nicht das erste Mal, dass Schweizer Regelungen zur "Sterbehilfe" in Deutschland nachgeahmt würden. Mit Verweis auf 1995 beschlossene Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW), die unter anderem befürworten, dass Medikation, Dialyse, Beatmung und Sondenernährung bei KomapatientInnen unter bestimmten Voraussetzungen eingestellt werden dürfen sollen, hatte die deutsche Bundesärztekammer (BÄK) ihre entsprechenden Richtlinien grundlegend reformiert. Als Ergebnis wurden am 11. September 1998 "Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung" bekannt gegeben, womit die BÄK für zulässig erklärt, was kein deutsches Gesetz erlaubt: dass ÄrztInnen mittels gezielter Unterlassungen den Tod von PatientInnen herbeiführen können, die gar nicht im Sterben liegen, etwa bei Menschen im Koma, mit fortgeschrittener Demenz oder bei Neugeborenen mit Behinderungen. Voraussetzung für das "Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen" nach SAMW-Vorbild ist laut BÄK-Grundsätzen, dass zuvor ein Bevollmächtigter oder Betreuer stellvertretend für den Betroffenen in den Tod bringenden Abbruch von Behandlung oder Ernährung eingewilligt und ein Vormundschaftsgericht diese Entscheidung genehmigt hat.
Ich möchte nun einen Überblick geben über einschlägige Regelungen in drei weiteren europäischen Staaten, welche BefürworterInnen wie GegnerInnen von Patiententötungen und entsprechenden schriftlichen Vorabverfügungen als Weg weisend ansehen, nämlich die Niederlande, Belgien und Dänemark. Geht es darum, Euthanasie zu propagieren oder sich von ihr abzugrenzen, werden die beiden Beneluxländer regelmäßig bemüht: Sie gelten international als Euthanasie-Vorreiterstaaten, weil sie unter gesetzlich definierten Voraussetzungen auch straffrei geschehen lassen, was im deutschen Sprachraum euphemistisch "aktive Sterbehilfe" genannt wird, also das Töten von PatientInnen mittels Giftspritze. Solche Praktiken werden bei jeder Gelegenheit übrigens auch von denjenigen verurteilt, die dafür plädieren, "passive Sterbehilfe" bei Menschen zu legalisieren, deren Sterbeprozess überhaupt nicht eingesetzt hat. Der ebenso schönfärberische wie vernebelnde Begriff "passive Sterbehilfe" meint gezielte Unterlassungen zu dem Zweck, den Tod herbeizuführen, konkret zum Beispiel das Abbrechen notwendiger medizinischer Behandlung oder das Einstellen der Ernährung via Magensonde, was zum Verhungern des Betroffenen führt. Die BefürworterInnen der gezielten, vom Patienten vorab verfügten Lebensbeendigung stützen sich bei ihrer Lobbyarbeit also nicht auf die Tabubrecher Niederlande und Belgien. Vielmehr orientieren sie sich unausgesprochen am "Vorbild" Dänemark, wenngleich dies in der deutschen Öffentlichkeit kaum bekannt ist. Die dänischen Regelungen pro Behandlungsabbruch betonen die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen und verlangen eine zentrale Registrierung solcher Papiere.
Euthanasie-Vorreiterstaat
Niederlande
Werfen wir
zunächst einen Blick auf die Niederlande und damit auf das Gemeinwesen,
das als Euthanasie-Vorreiterstaat schlechthin gilt. Am 1. April 2002 trat
dort das erste europäische Euthanasiegesetz in Kraft, sein offizieller
Titel lautet: "Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf
Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung". Die Paragraphen legalisieren
PatientInnentötungen auf Verlangen, die in den Niederlanden bereits
seit Anfang der 90er Jahre geduldet wurden. Vorausgegangen war eine fast
30 Jahre dauernde öffentliche Debatte, die von EuthanasielobbyistInnen
regelmäßig befördert wurde. Drei Strategien, die inzwischen
auch ansatzweise in der Bundesrepublik zu beobachten sind, finde ich bemerkenswert:
- Euthanasie-Outing: Regelmäßig wurden Erklärungen von ÄrztInnen publiziert, die sich öffentlich dazu bekannten, PatientInnen auf deren Wunsch getötet und damit gegen das niederländische Strafgesetzbuch verstoßen zu haben. Solche "Geständnisse" sollten zum einen die öffentliche Diskussion über Euthanasie enttabuisieren und ankurbeln. Zum anderen verfolgten sie den rechtspolitischen Zweck, höchstrichterliche Entscheidungen zu provozieren, die Spielräume für Euthanasie schaffen sollten. Die Richter, so das Kalkül der Regelverletzer, sollten feststellen, dass Patiententötungen in bestimmten "Notstands"-Situationen strafrechtlich nicht verfolgt werden;
- Gute Beziehungen: Die Pro-Euthanasie-Bewegung bemühte sich, in relevanten gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen Fuß zu fassen und prominente FürsprecherInnen zu gewinnen. Mit Erfolg: Das Euthanasiegesetz wurde maßgeblich von der linksliberalen Gesundheitsministerin Els Borst durchgesetzt, die selbst Mitglied der "Niederländischen Vereinigung für Freiwillige Euthanasie" (NVVE) ist, inzwischen aber nicht mehr im Amt ist.
- Politik mit Umfragen: Stimmung pro Euthanasie wurde mit Umfragen und Erhebungen gemacht. Als politisch besonders einflussreich hat sich eine Studie erwiesen, 1996 erstellt von den Wissenschaftlern van der Maas und van der Wal im Auftrag der niederländischen Regierung. Sie untersuchten eine Stichprobe von 7.000 Todesfällen und befragten 405 ÄrztInnen, denen Anonymität zugesichert wurde. Es handelt sich also keineswegs um eine Vollerhebung, sondern um eine hochgerechnete Schätzung, deren Verlässlichkeit schon deshalb fragwürdig ist, weil der Wahrheitsgehalt der Angaben der anonym antwortenden ÄrztInnen nicht nachgeprüft werden kann. Hier nun die Zahlen, die – mit Ausnahme der Gesamtzahl der Todesfälle - schlicht und einfach geschätzt sind:
Kernpunkte des niederländischen Gesetzes
- Der Zustand des Getöteten ist aussichtslos.
- Sein Leiden ist unerträglich.
- Der Todeswunsch ist freiwillig und nach reiflicher Überlegung zustande gekommen
- Der Patient ist umfassend aufgeklärt und informiert worden.
- Eine medizinische Alternative zur Tötung gibt es nicht.
Die Begriffe spiegeln zwar Eindeutigkeit vor. Tatsächlich sind sie subjektive Einschätzungen, die zudem unterschiedlich interpretierbar und so ausdehnbar sind, dass auch – was weniger bekannt ist – demenzkranke und psychisch kranke Menschen darunter fallen können, sofern sie von MedizinerInnen als unheilbar eingeschätzt und ihr Leiden als unerträglich bewertet wird. Wer nicht einwilligungsfähig und mindestens 16 Jahre alt sind, darf nur umgebracht werden, wenn er den Wunsch nach Lebensbeendigung zu einem früheren Zeitpunkt, also vor Eintritt der Nichteinwilligungsfähigkeit, in einer Patientenverfügung schriftlich zum Ausdruck gebracht hat. Weitere Einzelheiten zu solchen Erklärungen bestimmt das Gesetz nicht.
Erst wenn der Patient getötet worden ist, erfolgt eine Art Prüfung des Euthanasiefalls. Nach erfolgter Euthanasie muss der Arzt den Leichenbeschauer und eine regionale "Kontrollkommission" über den unnatürlichen Tod informieren. Der Arzt muss die Standardfragen eines Meldebogens beantworten. Erbeten werden neben Angaben zur Person des Getöteten und dessen Krankengeschichte auch Erläuterungen zur Einhaltung der Sorgfaltskriterien und den Umständen der Tötung. Die Kommission setzt sich zusammen aus mindestens einem Juristen, Arzt und Ethiker, die Mitglieder werden von den Ministerien für Justiz und Gesundheit für sechs Jahre berufen. Nur wenn die Mehrheit der Kommissionsmitglieder aufgrund der eingereichten Antworten bezweifelt, dass die Patiententötung gemäß den Sorgfältigkeitskriterien erfolgt ist, muss die Staatsanwaltschaft informieren, die dann gegebenenfalls eine strafrechtliche Verfolgung des Euthanasiearztes einleiten kann. In jedem Fall werden die gemeldeten Angaben ausgewertet, die Statistiken sollen die offiziell propagierte Transparenz des Euthanasiegeschehens herstellen und Aufschluss geben über Tötungszahlen, -methoden und die jeweiligen Begleitumstände. Der erste Bericht dieser Art soll im Frühjahr 2003 veröffentlicht werden.
Über Effekte des seit April 2002 geltenden Gesetzes lässt sich bisher noch nichts sagen, der Zeitraum ist schlicht zu kurz und öffentliche Zahlen stehen ja noch aus. Bemerkenswert ist aber, dass die Vereinigung für Freiwillige Euthanasie sogleich neue Forderungen aufstellte, zum Beispiel die Abgabe einer tödlich wirkenden Pille für SeniorInnen, die dies wünschen. Öffentlicher Widerstand gegen das Gesetz ist nur vereinzelt wahrzunehmen; auffällig wurden zumindest einige hundert Ärzte des christlich inspirierten Nederlands Artsenverbondes, die aus Protest aus der Ärztekammer ausgetreten sind, die das Euthanasiegesetz befürwortet. Was auf der Ebene persönlicher Verantwortung und individuellen Widerstands passiert, ist naturgemäß schwer festzustellen. Verweigerung ist aber nach wie vor möglich: Kein Arzt ist gezwungen, einen Patienten auf Wunsch zu töten, das niederländische Euthanasiegesetz verleiht niemandem einen einklagbaren Rechtsanspruch darauf, ums Leben gebracht zu werden. Praktisch bedeutet das: Ob die staatlicherseits gebilligte Euthanasie in den Niederlanden tatsächlich reibungslos funktioniert, hängt maßgeblich davon ab, wie MedizinerInnen sich verhalten, also ob sie die vom Gesetzgeber ermöglichte Perversion ihres Behandlungsauftrages tatsächlich vollziehen oder nicht.
Die belgische Euthanasievariante
Das belgische
Euthanasiegesetz gilt seit Ende September 2002, die Diskussion dort war
erheblich kürzer als in den Niederlanden, wurde aber durch die Reformankündigungen
des Nachbarlandes befördert. Meinungsumfragen, welche die Stimmung
der Bevölkerung in Sachen Euthanasie ausloten und wohl auch beeinflussen
sollten, gab es auch in Belgien. Im Grundsatz hat das belgische Parlament
die niederländische Konzeption übernommen, das Euthanasiegesetz
aber wortreicher und streckenweise auch detaillierter formuliert
Ich möchte jetzt nicht auf alle Details eingehen, sondern mich darauf beschränken, die wichtigsten Unterschiede zu den niederländischen Regelungen zu benennen.
Weniger weitreichend als das niederländische Gesetz ist das belgische in folgenden Punkten:
Dänemark – "Vorbild"
für Deutschland?
Die Rechtslage
in Dänemark erlaubt – anders als die niederländische und belgische
- zwar nicht die so genannte "aktive Sterbehilfe" via Giftspritze. Sie
legitimiert aber, ähnlich wie Belgien, Patientenverfügungen und
verlangt die zentrale Registrierung derselben. Per "Gesetz über Lebenstestamente"
wurde 1992 in Verantwortung des Gesundheitsministeriums ein landesweites
Register für Patientenverfügungen installiert, das am Kopenhagener
Universitätsklinikum geführt wird. Das "Gesetz über Patientenrechte",
das am 1.10.1998 in Kraft trat, hat die Verbindlichkeit dieses Registers
klar gestellt. Jeder Arzt, der einen schwer kranken, nichteinwilligungsfähigen
Menschen behandelt, ist verpflichtet, in Kopenhagen anzufragen, ob dort
eine Behandlungsabbruch-Verfügung des Patienten registriert ist oder
nicht.
Für
die vorab erklärte Verweigerung lebensverlängernder Behandlung
gibt es in Dänemark ein Standardformular, das zwei ankreuzbare Alternativen
vorgibt:
a) Ich möchte keine lebensverlängernde
Behandlung in einer Situation, in der ich unvermeidlich sterben werden."
b) "Ich möchte keine lebensverlängernde
Behandlung, wenn fortgeschrittene Demenz, ein Unfall, Herzstillstand oder
Ähnliches mich so schwer behindert, dass ich nie wieder physisch oder
geistig in der Lage sein werde, mich selbst um mich zu kümmern."
Liegt eine Patientenverfügung der Variante a) vor, ist der behandelnde Arzt daran gebunden; er muss den Patienten durch Abbrechen der Behandlung ums Leben bringen. Im Fall b) hängen Weiterleben oder Tod des Patienten vom Ermessen des behandelnden Arztes ab, die Erklärung nach b) muss beachtet, aber nicht ausgeführt werden.
Welchen Einfluss haben die
Regelungen in den Nachbarländern? Ein Blick auf rechtliche Aktivitäten
zur "Sterbehilfe" in Deutschland
In Deutschland
steht derzeit nicht "aktive Sterbehilfe" auf der politischen Agenda, wohl
aber die Frage, ob der tödliche Behandlungsabbruch gesetzlich abgesichert
werden soll, also ob ein Arzt ungestraft Sondenernährung oder eine
lebensnotwendige Behandlung abbrechen darf, weil und wenn der – nicht mehr
einwilligungsfähige - Betroffene dies vorab per Patientenverfügung
aufgeschrieben hat. Die deutschen BefürworterInnen von Patientenverfügungen
distanzieren sich regelmäßig von den niederländischen und
belgischen Regelungen, doch das Ziel ihrer Kampagnen zur gesetzlichen Absicherung
des tödlichen Behandlungsabbruchs auch bei Menschen, die gar nicht
im Sterben liegen, unterscheidet sich nicht von den Resultaten
"aktiver
Sterbehilfe", es geht bei allen Varianten der "Sterbehilfe" darum, Menschen
auf deren tatsächlichen oder vermuteten Wunsch ums Leben zu bringen
und dies rechtsstaatlich zu legitimieren. Einige Strategien – Initiierung
von Umfragen und Anstreben von Präzedenzurteilen– ähneln dem
Vorgehen der niederländischen Euthanasielobby. Begleitet wird die
Lobbyarbeit durch massive Reklame für Patientenverfügungen, obgleich
natürlich auch die BefürworterInnen wissen, dass solche Papiere
in Deutschland bisher rechtlich nicht verbindlich sind und sie damit für
etwas werben, was faktisch nutzlos ist.
Dänemark, das Patientenverfügungen als ziemlich verbindlich anerkennt, bietet Orientierung und wird zunehmend als Vorbild hingestellt. Besonders deutlich wird dies in einem Gutachten, das WissenschaftlerInnen einer Arbeitsgruppe der "Akademie für Ethik in der Medizin" (AEM) im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) geschrieben haben. Unter dem Titel "Möglichkeiten einer standardisierten Patientenverfügung" ist das Werk wenige Wochen vor der Bundestagswahl auch als Buch erschienen. Das "Grußwort" hat Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) persönlich verfasst: "Das vorliegende Gutachten", so Schmidt, "wurde von einem großen interdisziplinären Expertenteam erstellt, dem alle namhaften Kapazitäten auf diesem Gebiet angehörten." Tatsächlich handelt es sich bei diesen "Kapazitäten" um eine einseitige Auswahl von BioethikerInnen, die seit Jahren für eine Ausweitung der "Sterbehilfe" werben, darunter der Jurist Hans-Georg Koch (Freiburg) und die Philosophen Dieter Birnbacher (Düsseldorf) und Hans-Martin Sass (Bochum).
Im Auftragsgutachten für das BMG beklagen sie, dass sich die Rechtsprechung in Deutschland bislang nicht eindeutig zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen geäußert habe. Die BioethikerInnen sehen daher "Gesetzgebungsbedarf", wünschen sich die "Etablierung von Patientenverfügungen als Rechtsinstitut" und empfehlen die "Einrichtung eines gesonderten staatlichen Registers, wie dies in Dänemark praktiziert wird".
Initiativ werden wollen zwei Abgeordnete aus dem Regierungslager. Rolf Stöckel (SPD) und Irmingard Schewe-Gerigk (Grüne) kündigten jedenfalls im Wahlkampf gemeinsam an, sie wollten in der kommenden Legislaturperiode einen Gesetzentwurf "für ein selbst bestimmtes, humanes Sterben" in den Bundestag einbringen. Zumindest Stöckel hat eine Mission: Er ist Bundesvorsitzender des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD). Die Organisation, die sich als "bundesweite Interessenvertretung Konfessionsloser" sieht, wirbt seit Jahren dafür, "Sterbehilfe auf Wunsch" gesetzlich zu ermöglichen, wobei der HVD nicht nur den Tod bringenden Behandlungsabbruch, sondern auch die ärztliche Hilfe bei der Selbsttötung für vertretbar hält. Als Dienstleistung gegen Gebühr bietet der Verband an, Patientenverfügungen zu verwahren und "im Notfall auch durchzusetzen".
Der HVD ist Mitglied einer selbst ernannten "Arbeitsgemeinschaft zur Durchsetzung des Patientenwillens im In- und Ausland", die von einer Dresdner Rechtsanwaltskanzlei initiiert worden ist. Die Arbeitsgemeinschaft betreibt seit Ende Mai, was im zitierten Gutachten für das BMG vorgeschlagen wird: Sie hat im Internet eine Datenbank eingerichtet, in der Privatpersonen freiwillig und gegen Gebühr darauf hinweisen können, ob und wo sie eine Patientenverfügung deponiert haben. Auf die Datenbank können alle Krankenhäuser, -kassen, -versicherungen und Vormundschaftsgerichte online zugreifen – wenn sie denn wollen.
Um die Nachfrage anzukurbeln, hat die Dresdner Kanzlei nach eigenen Angaben inzwischen die Präsidenten sämtlicher Vormundschaftgerichte sowie die Geschäftsleitungen von Hospitälern, Krankenkassen und Krankenversicherungen angeschrieben und sie gebeten, die Verfügungsdatenbank künftig zu nutzen. Wohl ein wenig nachhelfen sollen fett gedruckte Buchstaben, mit denen die Anwälte die Klinikverantwortlichen belehren, "dass Eingriffe gegen den erklärten Willen des Patienten den Tatbestand der Körperverletzung mit allen strafrechtlichen und zivilrechtlichen Konsequenzen erfüllen". Das sehr bestimmt formulierte Schreiben verschweigt allerdings, dass eine Verfügung, die ein nicht mehr einwilligungsfähiger Patient früher einmal verfasst hat, den akut behandelnden Arzt rechtlich überhaupt nicht bindet.
Politisch Druck machen will auch die AEM, deren "Arbeitsgruppe Patientenverfügung" das Gutachten für das BMG erstellt hat. AEM-Geschäftsführer Alfred Simon kündigte im September an, sein Bioethiker-Verein werde bald einen eigenen Gesetzentwurf zur "Sterbehilfe" veröffentlichen. Ein zentraler Punkt werde die "gesetzliche Verankerung von Patientenverfügungen als Rechtsinstrument" sein. Außerdem will die AEM gesetzlich erlaubt sehen, dass Betreuer nicht einwilligungsfähiger PatientInnen befugt sein sollen, stellvertretend den "Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen" zu verlangen, wobei dieser Antrag richterlich genehmigt werden müsse.
Hintergrund des geplanten Vorstoßes ist der anhaltende Juristenstreit um die Auslegung des Paragraphen 1904 des Bürgerlichen Gesetzbuches, den das Frankfurter Oberlandesgericht (OLG) im Juli 1998 mit seinem spektakulären "Sterbehilfe-Beschluss" ausgelöst hatte. Das OLG hatte entschieden, dass bei einer Komapatientin die Ernährung per Magensonde abgebrochen werden dürfe, wenn die bewusstlose Betroffene mit dieser tödlichen Unterlassung "mutmaßlich" einverstanden sei und außerdem ein Vormundschaftsgericht den entsprechenden Antrag des Betreuers genehmigt habe. Diese kreative Interpretation des Paragraphen 1904 BGB, die aus seinem Wortlaut wahrlich nicht herauszulesen ist, wird seitdem in der Fachliteratur kontrovers diskutiert. Gleichwohl erhob der Vorstand der Bundesärztekammer die Meinung des Frankfurter OLG kurzerhand zum "Stand der Rechtsprechung" und übernahm sie in die eingangs erwähnten "Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung" vom September 1998.
Politiker wie Wolfgang Wodarg (SPD) und Hubert Hüppe (CDU), die auch in den neuen Bundestag gewählt wurden, kritisierten den Frankfurter Gerichtsbeschluss und die Ärztekammer-Grundsätze seinerzeit scharf. Hüppe forderte damals, gesetzlich klar zu stellen, dass § 1904 BGB keine Anspruchsgrundlage für den tödlichen Behandlungsabbruch biete. Falls der Gesetzgeber weiter passiv bleibe und einfach nur abwarte, ist laut Hüppe "zu befürchten, dass wir ärztliche Richtlinien, eine gefestigte Rechtsprechung und eine eingeübte Praxis des Nahrungsentzugs mit Todesfolge bei betreuten Patienten bekommen".
Bei solchen Worten ist es seitdem geblieben, Regierung und Parlament in Deutschland warten einfach ab. Die rechtspolitische Initiative scheinen nun diejenigen in Bundestag, Ministerien und Universitäten zu ergreifen, die hierzulande "selbstbestimmte", tödliche Behandlungsabbrüche und Patientenverfügungen gesetzlich abgesichert sehen wollen.
--------LITERATUR
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