Ersatzorgane vom Schwein
Schottische Wissenschaftler stellten
jetzt die ersten geklonten Schweine vor.
Sie sollen die künftigen Organlieferanten
sein. Doch noch ist es zu früh,
um die erste Xenotransplantation zu
wagen
Hoffnungen weckten die Ankündigungen zumindest bei vielen spekulationsfreudigen GeldanlegerInnen: Der Kurs der PPL-Aktie an der Londoner Börse stieg um über 20 Prozent, nachdem die Biotech-Firma ihren Klon-Erfolg bekannt gegeben hatte. Das weltweite Marktpotenzial für transplantierbare Körperstücke liegt nach PPL-Schätzungen bei jährlich 12 Milliarden Mark.
Vor "verfrühter Euphorie" warnt dagegen die deutsche Bundesärztekammer (BÄK). Die erfolgreiche Klonierung von Schweinen habe "noch nichts daran geändert", dass die Übertragung von Tierorganen auf Menschen "derzeit noch mit großen Risiken verbunden" sei, erklärte der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirates der BÄK, Professor Karl-Friedrich Sewing. Bevor der erste klinische Einsatz am Menschen gewagt werden könne, müssten noch medizinische, ethische und rechtliche Fragen beantwortet werden, sagte Sewing.
Dass eine therapeutische Anwendung von Tierorganen noch nicht in Sicht ist, unterstreicht eine aktuelle Studie zu Forschungsstand und Perspektiven der Xenotransplantation, die erst im Februar veröffentlicht wurde. Erstellt hat sie das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) im Auftrag des Forschungsausschusses. "Der Zeithorizont für eine weitere Verbreitung der Xenotransplantation", schreibt das TAB, "dürfte frühestens bei 15-20 Jahren liegen."
Laut TAB haben ForscherInnen bisher weltweit mehrere hundert Nieren und Herzen genmanipulierter Schweine auf Affen übertragen. Dabei hätten die Transplantate maximale Überlebenszeiten von 62 bis 99 Tagen erreicht. Die Tierversuche konzentrierten sich bislang darauf zu testen, wie die Abstoßung fremder Körperteile verhindert und ihre Verträglichkeit verbessert werden kann. Dabei wurden die Affen, so das TAB, "einer sehr belastenden Immunsuppressivabehandlung unterzogen", die wegen ihrer Nebenwirkungen "in dieser Form für eine Anwendung am Menschen nicht akzeptabel wäre".
Zentrales medizinisches Problem ist nach Darstellung des TAB jedoch "das erhebliche Infektionsrisiko". Durch bislang nicht bekannte Krankheitserreger, insbesondere Viren, die mit dem Tier-Transplantat übertragen werden, könnten nicht nur die OrganempfängerInnen, sondern auch ihre Mitmenschen betroffen werden; "im schlimmsten Fall" könnten die Erreger eine Pandemie verursachen.
Zur Untermauerung dieses Szenarios erinnert das TAB an die Erfahrungen mit dem Aids-Erreger HIV und dem Ebola-Virus. Dies zeige, dass Krankheitserreger, die ursprünglich nur in bestimmten Tierarten vorkamen, Artschranken überwinden und auch im Menschen auftreten können. Eine exakte Abschätzung des Risikos sei bisher nicht möglich, "die Forschung", bilanziert das TAB, "steht hier noch am Anfang".
Zwar werde diskutiert, das Infektionsrisiko durch Langzeit- oder gar lebenslange Überwachung der TierorganempfängerInnen und ihrer Kontaktpersonen zu begrenzen. Doch bedeute dies "einen fundamentalen Einbruch in die Privatsphäre von Personen", gibt das TAB zu bedenken. Außerdem werfe die neue Technik schwierige ethische Fragen auf, zum Beispiel: "Haben Ärzte und Krankenschwestern das Recht, aufgrund persönlicher Infektionsrisiken die Durchführung von Xenotransplantationen zu verweigern? Wie sind die ablehnenden Bescheide von Angehörigen zu werten?" Sobald die Technik funktioniere, enstünden zudem neue Verteilungsprobleme: "Wer wird ein menschliches, wer ein tierliches Organ erhalten?"
Fragen stellen sich nach Ansicht des TAB auch in rechtlicher Hinsicht. Klar sei, dass es sich bei den angepeilten klinischen Versuchen um "fremdnützige Forschung, die dem Fortschritt der Wissenschaften dient" handele, von denen die jeweiligen ProbandInnen jedoch keine Heilung zu erwarten hätten. Bevor jemand sich zur freiwilligen Teilnahme an einem solchen "Humanexperiment" entscheide, müsse ihm der experimentelle Charakter deutlich gemacht werden, fordert das TAB. Solange die Xenotransplantation riskant sei, müsse aber überhaupt erst geklärt werden, "ob die Schutzpflicht des Staates ihren Einsatz verbietet, auch wenn hierdurch zunächst der Zugang zu einer Therapiemöglichkeit verschlossen würde".
Zurückhaltung hatte auch schon die Parlamentarische Versammlung des Europarates angemahnt. Anfang 1999 empfahl sie, klinische Studien zur Übertragung von Tierorganen auf Menschen bis auf weiteres zu untersagen. Ob sie die Empfehlung ernst nehmen, dazu haben Bundesregierung und Bundestag bislang geschwiegen.
Die Finanzierung aus Steuergeldern geht unterdessen weiter. Die Bundesrepublik gehört, neben den USA und Großbritannien, zu den führenden Forschungsstandorten auf dem Gebiet der Xenotransplantation. Als deutsche Zentren gelten nach Recherchen des TAB die Universitätskliniken in Hannover und München, geforscht wird aber auch in Berlin, Braunschweig, Gießen, Ulm und Würzburg.
"Angesichts der doch erheblichen Folgenpotenziale der Xenotransplantation für die ganze Gesellschaft" appellieren die TAB-GutachterInnen an den Bundestag, eine öffentliche Debatte über die neue Technik anzustoßen. Zur ethischen Abwägung von Nutzen und Schaden seien nicht nur PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen aufgefordert, sondern die gesamte Bevölkerung.
Zur Sprache kommen sollte nach Ansicht des TAB auch die Förderung von Alternativen, die allerdings ebenfalls umstritten sind: Züchtung von Organen aus Stammzellen, Entwicklung künstlicher Körperstücke sowie die allgemeine Ausweitung der Organspende. Zudem sei zu erwägen, Erforschung, Vorbeugung und Therapie von Krankheiten zu intensivieren, die zum Versagen von Organen führen.
Die Studie "TA-Monitoring Xenotransplantation"
(150 Seiten) ist kostenlos erhältlich beim Büro für Technikfolgen-Abschätzung
beim Deutschen Bundestag (TAB), Neue Schönhauser Str. 10, 10178 Berlin.