Tödliche Grundsatzentscheidung
BGH meint: Wer nicht einwilligungsfähig
ist und nicht im Sterben liegt, hat Anspruch auf "Sterbehilfe"
Von Klaus-Peter Görlitzer
Seine "Sterbehilfe"-Entscheidung
hatte der BGH am 10. April bekannt gegeben. Ob der betroffene Patient,
der nicht im Sterben liegt, tatsächlich durch gezieltes Unterlassen
der Sondenernährung ums Leben gebracht wird, muss letztlich das Amtsgericht
Lübeck entscheiden, wo der Rechtsstreit gestartet wurde. (Siehe BIOSKOP
Nr.
21)
Auf einen derartigen Spruch des höchsten deutschen Zivilgerichts hat die Euthanasielobby lange gewartet. Zwar wünschen sich Organisationen wie die "Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben" oder der "Humanistische Verband", der tödliche Abbruch von Ernährung und Therapien solle auch ohne gerichtliche Genehmigung zulässig sein, wenn der Betroffene dies vorab verlangt habe. Doch dürfte sie der BGH-Entscheid trotzdem ziemlich zufrieden stellen. Denn die höchsten deutschen ZivilrichterInnen erkennen erstmals so genannte "Patientenverfügungen" als verbindlich an, deren Registrierung diverse Verbände seit Jahren als geldwerte Dienstleistung im rechtsfreien Raum anbieten. Obendrein erklärt der BGH tödlich wirkende Unterlassungen auch bei Menschen für zulässig, die gar nicht im Sterben liegen. Nach Meinung der RichterInnen soll es ausreichen, wenn die Krankheit einen "irreversiblen und tödlichen Verlauf angenommen" habe. Wie MedizinerInnen eine solch ultimative Prognose eindeutig und sicher treffen können sollen, bleibt das Geheimnis von JuristInnen.
Ökonomisches Kalkül der Politik?
Klar ist: Was der BGH für richtig hält, ist eine Provokation für den Gesetzgeber - zumindest, wenn der seine eigenen Regeln ernst nimmt. Ausnahmen vom Tötungsverbot sind hierzulande nicht erlaubt. Und auch Vorabverfügungen, die gezielte Lebensbeendigung beanspruchen, stehen in keinem deutschen Gesetz. Sollten Regierung und Parlament weiter schweigen, würden sie faktisch zustimmen. Damit wären sie mitverantwortlich, wenn ÄrztInnen und Pflegekräfte dem BGH-Spruch folgen und tödliche Unterlassungen bei nichteinwilligungsfähigen PatientInnen in Kliniken, Pflegeheimen und Hospizen alltäglich werden sollten.
Vielleicht steckt hinter der politischen Untätigkeit ja auch ökonomisches Kalkül – schließlich helfen vorab erklärte Behandlungsverzichte, Kosten zu sparen. Und eiskalte RechnerInnen können registrierte Patientenverfügungen auch dafür benutzen, den Abbau medizinischer Ressourcen zu rechtfertigen, beispielsweise zu Lasten von Koma- oder Alzheimer-PatientInnen.
BioSkop e.V. hat auf den BGH-Beschluss
mit einem Appell reagiert: "Der Gesetzgeber muss schleunigst klarstellen,
dass niemand das Recht hat, über Leben und Tod bewusstloser PatientInnen
zu entscheiden. Das gilt auch für BetreuerInnen und RichterInnen."