Bundestag soll im Frühjahr über Legalisierung so genannter "Patientenverfügungen" entscheiden Voraussichtlich im Frühjahr werden die VolksvertreterInnen entscheiden müssen, ob sie das gesellschaftliche Tötungsverbot antasten wollen oder nicht. Herausgefordert werden sie von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die "Patientenverfügungen" rechtsverbindlich machen will. Von Klaus-Peter Görlitzer Die Vorlage hatte eine Kommission unter Vorsitz des früheren BGH-Strafrichters Klaus Kutzer im Juni geliefert (Siehe BIOSKOP Nr. 26). Auftraggeberin Zypries (SPD) hat nun nachgezogen – mit einem Gesetzentwurf zur Änderung des Betreuungsrechts, den sie im November 2004 präsentiert hat. Den Formulierungen der Kutzer-Kommission weitgehend folgend, will die Justizministerin Patientenverfügungen künftig erstmals im Bürgerlichen Gesetzbuch verankern. Laut Zypries-Entwurf müssten BetreuerInnen und Bevollmächtigte durchsetzen, dass lebensnotwendige Therapien und Ernährung stets unterlassen oder abgebrochen werden, wenn der nicht mehr äußerungsfähige Betroffene dies irgendwann schriftlich oder auch nur mündlich verlangt hat; Form- und Fristvorschriften für den als "Patientenverfügung" bezeichneten Vorabverzicht auf Therapien soll es nicht geben. Der Rechtsanspruch auf zielstrebiges Herbeiführen des Todes durch ÄrztInnen und Pflegekräfte soll in jedem Stadium der Krankheit gelten, also auch, wenn sie "noch keinen tödlichen Verlauf genommen" hat. Dies zielt vor allem auf Demenzkranke und PatientInnen im Koma; juristisch nicht einwilligungsfähig sein können aber auch psychisch kranke und geistig behinderte Menschen, deren Interessen von BetreuerInnen oder Bevollmächtigten wahrgenommen werden. Der den Tod bezweckende Behandlungsstopp müsste laut Zypries-Modell nur dann von einem Vormundschaftsgericht genehmigt werden, wenn Arzt und Betreuer uneins sind über den mutmaßlichen Willen des nicht mehr ansprechbaren Patienten; verlangt ein für Gesundheitsangelegenheiten Bevollmächtigter den Tod seines Schutzbefohlenen, soll eine gerichtliche Prüfung "nicht erforderlich" sein. Zypries erntete ein lebhaftes Echo: Grundsätzlich einverstanden äußerten sich Bundesärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe und Sterbehilfe-Organisationen. Empörung dagegen bei einigen PolitikerInnen aus der Medizinethik-Enquete: Sie verwiesen auf die Mehrheitsmeinung in dieser Kommission, laut der Patientenverfügungen nur gelten sollten, wenn das "Grundleiden" des vermutlich Sterbewilligen "irreversibel tödlich" sei. Aber "Sterbehilfe" bei Menschen, die gar nicht im Sterben liegen, will auch die Enquete nicht kategorisch ausschließen. Anders sieht das scheinbar nur ihr stellvertretender Vorsitzender: Hubert Hüppe (CDU) unterstützt den außerparlamentarischen Appell "Das gesellschaftliche Tötungsverbot darf nicht angetastet werden!", der sich gegen die geplante Legalisierung von Patientenverfügungen richtet. Warum schweigen so viele in Politik, Verbänden, Kliniken und Pflegeheimen zur schleichenden Aushöhlung des Tötungsverbots, die doch öffentlich sichtbar betrieben wird? Vielleicht liegt es am Nebel, initiiert durch permanente PR der "Sterbehilfe"-Lobby, die suggeriert, es herrsche eine Massennachfrage nach "Lebensbeendigung auf Wunsch", die man fördern müsse, jedenfalls nicht behindern dürfe. Politik mit Umfragen und Zahlen Die Deutsche Hospizstiftung, die schriftlichen Patientenverfügungen in allen Krankheitsstadien Geltung verschaffen will, hat im September 1999 eine fragwürdige Zahl in die Welt gesetzt, die seitdem immer wieder zitiert wird: Acht Prozent der Deutschen – also über sechs Millionen – hätten bereits eine Patientenverfügung verfasst. Diese Behauptung, die auch Zypries für ihre Zwecke anführt, stütze sich auf eine Befragung von rund 1.000 Leuten, die das Meinungsforschungsinstitut Emnid für die Stiftung besorgt hatte. Was von solchen Zahlen zu halten ist, zeigen zwei weitere: Im "Bundeszentralregister Willenserklärung", in dem die Hospizstiftung seit fünf Jahren Patientenverfügungen finanzieller Förderer archiviert, sind nach Angaben ihrer Pressestelle zurzeit "rund 4.500" Erklärungen digital gespeichert. Im Patientenverfügungsregister des "Sterbehilfe"-Konkurrenten Humanistischer Verband sollen 12.500 "Klienten-Datensätze" hinterlegt sein. © KLAUS-PETER GÖRLITZER, 2004 Alle Rechte vorbehalten Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Autors |
aus: BIOSKOP Nr. 28 (Dezember 2004)
Der
nächste Schritt
Den Gesetzentwurf von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries finden zwanzig Strafrechtslehrer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz richtig – und sie gehen sogar noch weiter: Sie plädieren dafür, dass Ärzte künftig Patienten bei der Selbsttötung helfen sollen. [MEHR] |