Eine fragwürdige Denkfabrik
Welche Ziele verfolgt das Bonner "Institut
für Wissenschaft und Ethik?"
Experten auf der Suche nach einer
neuen Moral für Humangenetik, Genmanipulation und Organtransplantationen
Das "Institut für Wissenschaft und Ethik" ist eine Gründung der Universitäten Bonn und Essen sowie des Kernforschungszentrums Jülich und der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt. Noch hat es seine Arbeit nicht aufgenommen, doch unter Kritikern macht sich bereits Mißtrauen breit. Nach Auffassung des Essener Gen-Archivs entsteht in Bonn nichts anderes als eine "Denkfabrik für Rechtfertigungsargumente": Den Professoren gehe es lediglich darum, ihre eigene Forschung zu legitimieren und im Stil einer Dienstleistungsagentur ethisch "abzusichern, was bereits praktiziert wird".
Mensch, Natur und die Zumutbarkeit
biologischer Risiken
Tatsächlich
ist Argwohn angebracht. Hervorgegangen ist die neue Ideenschmiede, die
bereits im Mai ein "Europäisches Symposium" zu "Prinzipien europäischer
Bioethik" abhalten will, aus der interdisziplinären "Forschungsarbeitsgemeinschaft
Bioethik in Nordrhein-Westfalen" (FAG), mit der sie auch künftig eng
zusammenarbeiten will. Dieses Professerorenteam, 21 Männer und eine
Frau, hatte sich, angeregt von Wissenschaftsministerin Anke Brunn (SPD),
bereits im Oktober 1989 konstituiert. Für eine Vorstudie wurden drei
"Teilgebiete der biomedizinischen Wissenschaften" ausgewählt – und
zwar diejenigen, die auf Widerstand, Ablehnung oder Skepsis stoßen:
Humangenetik, Genmanipulation an Pflanzen und Tieren, Organtransplantation.
"Klärungsbedürftig", so faßte die FAG eineinhalb Jahre später das Ergebnis der Vorstudie über "Die ‚Natürlichkeit‘ der Natur und die Zumutbarkeit von Risiken" zusammen, sei "ein bestimmter Typ von Prämissen", die in ethischer Hinsicht "als intuitiv plausibel verwendet werden und mit denen Bezug genommen wird auf Annahmen über die Natürlichkeit der Natur". Hinter der eher verwirrenden Formulierung verbirgt sich ein simpler Gedanke: Die Menschen sollen zweifeln – und umdenken. "In Anwendung auf völlig neue Fragestellungen", so heißt es in einem Antrag der FAG an die Deutsche Forschungsgemeinschaft auf Drittmittel für die Fortsetzung der Studie, "kann aber das bislang intuitiv Plausible seine Tragfähigkeit verlieren."
Eher befremdlich erscheint die Art und Weise, mit der in dieser Studie gerade die Grundsatzfragen ausgeklammert, Ergebnisse und ethische Urteile voweggenommen wurden. So darf man wohl unterstellen, daß es vielen Bürgern bislang "intuitiv plausibel" erschien, daß es nur dann zulässig ist, einem Leichnam ein Organ zu entnehmen, wenn der "Spender" sich zu Lebzeiten damit ausdrücklich einverstanden erklärt hat. Die FAG dagegen bewertet bei Transplantationen "in moralischer Hinsicht" die sogenannte Informationslösung "als besonders vorzugswürdig": Demnach wäre es erlaubt, Organe auch dann zu entnehmen, wenn keine Äußerung des "Spenders" vorliegt, sofern die Hinterbliebenen kein Veto einlegen – eine Lösung, die inzwischen (zufällig?) auch der Mustergesetzentwurf der Länder für ein Transplantationsgesetz vorsieht.
Man gibt sich differenziert, doch vorausgesetzt wird einfach, daß Organtransplantation, Humangenetik und Genmanipulationen an Pflanzen und Tieren prinzipiell erwünschte Techniken sind – "plausibel" erscheint, was technisch machbar ist. Wer zum Beispiel meint, der Mensch setze sich über natürliche Grenzen des Handelns hinweg, wenn er durch Genmanipulationen die Artgrenzen bei Pflanzen und Tieren überschreitet, wird von den Bioethikern belehrt: "Im Gegensatz zur üblichen Auffassung tragen die neuen Techniken zur Artenbildung und –vielfalt bei." Gentherapeutische Eingriffe am Menschen könnten fast schon als Pflicht erscheinen: "Ist von einer Unantastbarkeit der genetischen Mitgift zu sprechen", heißt es aus der FAG, "auch wenn diese Krankheit beinhaltet und damit die Entfaltung der Persönlichkeit hindern wird?"
Die Federführung für diese Untersuchung lag bei den Philosophieprofessoren Ludwig Siep (Münster), Oswald Schwemmer (Düsseldorf), Ludger Honnefelder (Bonn) und Carl Friedrich Gethmann (Essen). Dabei durften sich ausgerechnet die Anwender der neuen Techniken ethisch selber auf die Finger schauen: Die Transplantations-Chirurgen Friedrich Wilhelm Eigler und Ulrich W. Schaefer (Essen) dachten über Probleme der Organtransplantation nach, der Humangenetiker Peter Propping (Bonn) widmete sich der Humangenetik, und um die Ethik der "Gentechnik im nichthumanen Bereich" kümmerten sich der Mikrobiologe Alfred Pühler (Bielefeld) sowie der Kölner Züchtungsforscher Heinz Saedler, der durch den ersten Freisetzungsversuch mit gentechnisch manipulierten Petunien in die deutsche Wissenschaftsgeschichte eingegangen ist.
Politischer Einfluß in der
Diskussion über das Thema Hirntod
Die Skepsis wird
zusätzlich genährt durch andere Aktivitäten von FAG-Mitgliedern,
die auch darauf hindeuten, daß sie über einigen politischen
Einfluß verfügen. So zeichnen der Transplantations-Chirurg Eigler
und der Philosoph Dieter Birnbacher (Dortmund) mitverantwortlich für
eine Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer
zum "Hirntod". Danach wird als "sicheres Todeszeichen" der "endgültige
Ausfall der gesamten Hirnfunktion" definiert und "nicht erst der Tod aller
Teile des Körpers". Diese Auffassung ist zwar umstritten – aber vorteilhaft
für diejenigen, die "hirntoten" Menschen "guten Gewissens" Organe
entnehmen wollen.
In einer weiteren Arbeitsgruppe der Bundesärztekammer hat auch der Medizinhistoriker Richard Toellner (Münster) längst Position bezogen. Gegen die "sogenannte Genomanalyse an Arbeitnehmern" hat er grundsätzlich nichts einzuwenden – vorausgesetzt, eine Einwilligung des Betroffenen liegt vor. "Jedoch muß der Arbeitnehmer", schreiben Toellner und Kollegen, "gegebenenfalls arbeitsrechtliche Konsequenzen einer verweigerten Einwilligung in Kauf nehmen". Dieselbe Position vertritt die Bundesregierung im vorliegenden Gesetzentwurf zum Arbeitsschutz, während Gewerkschaften und Datenschützer ein Verbot genetischer Vorsorgeuntersuchunegn fordern, um angeblich erbschwache Arbeitnehmer vor Benachteiligung zu schützen.
Als Generalimporteur der in den USA entwickelten Bioethik gilt der Bochumer Philosoph Hans-Martin Sass, gleichzeitig Direktor des Europäischen Ethikprogramms am "Kennedy Institute of Ethics" der Georgetown University in Washington. Sass macht seit Jahren Stimmung gegen das Solidarprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung. "Ordnungsethsich und ordnungspolitisch akzeptabler", schrieb er schon 1991, sei eine "Zweiteilung in eine obligatorische Basisversicherung und eine freiwillige, lebensstil- und lebensqualitätsbezogene Zusatzversicherung". Was damals noch Außenseitermeinung war, zieht die Bundesregierung gegenwärtig ernsthaft in Erwägung.
Im Konzeptpapier des neuen Bonner Ethik-Instituts heißt es, den Wissenschaftlern sei sehr daran gelegen, für ihre Forschung gesellschaftliche Akzeptanz zu finden. Ob ihnen dies gelingt, wird auch davon abhängen, inwieweit sich die Menschen ausreden lassen, was ihnen bisher noch "intuitiv plausibel", sprich selbstverständlich, erscheint. Und inwieweit sie Gelegenheit bekommen, die neuen Techniken und die modernisierte Moral einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Während die
Beteiligten versuchen, die Bioethik in der Bundesrepublik hoffähig
zu machen, liegt in puncto Öffentlichkeit noch einiges im argen. Die
Inhalte der Vorstudie über "die ‚Natürlichkeit‘ der Natur und
die Zumutbarkeit von Risiken" wurden weder Bürgern noch Politikern
zugemutet: Im zuständigen NRW-Landtagsausschuß "Mensch und Technik"
wurde die Untersuchung, obwohl sie immerhin aus der Labdeskasse bezahlt
worden war, jedenfalls bisher nicht vorgestellt.