"Rechtswidrige Verarbeitung und Nutzung sensibler Patientendaten"
Datenschutzbeauftragter beanstandet Aktivitäten im Humangenetischen Institut der Würzburger Uni

Die Aufklärung heimlicher Blutentnahmen und Forschungen mit geistig behinderten BewohnerInnen des Eisinger St. Josefs-Stifts (siehe BIOSKOP Nr. 8+9) ist ein wichtiges Stück vorangekommen: Nach Prüfung des Falles hat der bayerische Datenschutzbeauftragte Reinhard Vetter Humangenetikern der Universität Würzburg bescheinigt, gegen geltendes Recht verstoßen zu haben. Der Strafprozess gegen die ehemalige Stiftsärztin hat im April begonnen. Der Richter spricht von einem "Präzedenzfall".


Von Klaus-Peter Görlitzer
"Ich habe die Verarbeitung von Patientendaten und die Auswertung von Blutproben behinderter Heimbewohner des Sankt-Josefs-Stifts in Eisingen durch das Institut für Humangenetik der Universität Würzburg beanstandet", teilte Vetters Behörde Ende März mit. Begründung unter anderem: "Eine ausdrückliche Einwilligung der Betroffenen bzw. ihrer Betreuer, insbesondere zur Verwertung der Daten in einer Dissertation einer Doktorandin des Instituts, lag nicht vor." Fazit des obersten Datenschützers im Freistaat Bayern: "Datenschutzrechtlich liegt somit eine rechtswidrige Verarbeitung und Nutzung sensibler Patientendaten durch die Universität vor."

Keine neuen Ermittlungen
    Eine solche "Beanstandung" ist das schärfste Instrument, mit dem Datenschutzbehörden Rechtsverstöße sanktionieren können. Derartige Beanstandungen sind selten und gerade für MedizinerInnen, die nach der ärztlichen Berufsordnung zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, allemal peinlich. Doch ob die "gelbe Karte" vom Datenschützer geeignet ist, die Ermahnten tatsächlich dazu zu bewegen, den Datenschutz künftig ernst zu nehmen, ist fraglich, zumal ein finanzieller Denkzettel regelmäßig ausbleibt. Strafbar ist die unbefugte Verarbeitung geschützter persönlicher Daten nach dem Bayerischen Datenschutzgesetz nämlich nur dann, wenn der Täter in Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht gehandelt hat. Solche Motive nachzuweisen, ist in der Praxis kaum möglich.

    Angesichts der Rechtslage sieht der Leitende Oberstaatsanwalt in Würzburg, Peter Schauff, auch nach der datenschutzrechtlichen Beanstandung keinen Anlass, die strafrechtlichen Ermittlungen gegen drei Würzburger Humangenetiker wieder aufzunehmen. Das Ermittlungsverfahren war Ende November 1999 eingestellt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte rund eineinhalb Jahre ermittelt und dabei lediglich eine "Verletzung von Privatgeheimnissen" durch die frühere leitende Ärztin des St. Josefs-Stifts feststellen können, welche die geschützten Daten und Blutproben von HeimbewohnerInnen an das Humangenetische Institut weitergegeben hatte.

Fortsetzung ungewiss
Da die Medizinerin gegen den entsprechenden Strafbefehl in Höhe von 3.500 DM Einspruch einlegte, muss nun das Amtsgericht Würzburg ihre Aktivitäten beurteilen. Richter Karl-Heinz Merkle hält den "Eisinger Fall" für einen "Präzedenzfall"; nach zwei Verhandlungstagen im April hat er das Verfahren vorläufig ausgesetzt. Nun soll erst einmal ein Sachverständiger ein medizinisches Gutachten erstellen, und das kann dauern. Wann die öffentliche Verhandlung fortgesetzt wird, ist ungewiss.

    Unabhängig von den gerichtlichen Bemühungen will endlich auch das St. Josefs-Stift einen Beitrag zur Aufklärung leisten, den beunruhigte Angehörige und BetreuerInnen über zwei Jahre vergeblich gefordert hatten. Anfang Juni, nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe, sollte eine Kommission eine Woche lang in Eisingen tagen. Die ExpertInnen sollen nach Angaben der Stiftsgeschäftsführer Ulrich Spielmann und Bernhard Götz u.a. folgende "relevante Untersuchungsfragen" beantworten: "In welchem Forschungszusammenhang standen die mit den Bewohnern des St. Josefs-Stifts entstandenen Dissertationen? Ging es darum, ein neues Diagnoseverfahren zu entwickeln?"


© KLAUS-PETER GÖRLITZER, 2000
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aus:
BIOSKOP

Nr. 10 (Juni 2000)



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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