aus: BIOSKOP Nr. 5 (März 1999)

Das Embryonenschutzgesetz
gerät zunehmend unter Druck
Entscheidung über Reform soll in diesem Jahr fallen


Forschung und Gentests an Embryonen, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind,
dürfen in Deutschland nicht stattfinden.
Ob das Verbot unter der rot-grünen Bundesregierung bestehen bleibt, ist fraglich.

Von Klaus-Peter Görlitzer
Einer derjenigen Politiker, die seit Jahren vehement den Beitritt Deutschlands zur Bioethik-Konvention des Europarates fordern, ist der Sozialdemokrat Wolf-Michael Catenhusen. Sein Engagement für den Vertrag, gegen den hierzulande über zwei Millionen Menschen per Unterschrift protestiert haben, hat ihm in der Führungsetage der Partei offenbar Anerkennung eingebracht: Jedenfalls avancierte Catenhusen nach dem politischen Machtwechsel in Bonn zum parlamentarischen Staatssekretär im Bundesforschungsministerium.

    Durch die neue Funktion gestärkt, ist Catenhusen ein gefragter Gesprächspartner der Medien – und als solcher macht er sich nun auch öffentlich stark dafür, die hierzulande bisher verbotene, gemäß Bioethik-Konvention aber erlaubte Forschung an Embryonen und die Präimplantationsdiagnostik (PID, siehe Seite 9 dieser Ausgabe) zu ermöglichen. "Wir stehen allerdings vor der Grundsatzfrage", sagte Catenhusen zum Beispiel der Wochenzeitung Die Zeit, "ob die technisierte Befruchtung menschlicher Eizellen auch anderen Zwecken dienen darf als einzig der Schaffung neuen Lebens, wie das Embryonenschutzgesetz es vorsieht."

    Die Frage nach dem Ob hat der Staatssekretär bereits für sich mit "ja" beantwortet. In dem Zeit-Interview, veröffentlicht am 7. Januar, machte er denn auch Vorschläge zum Wie: "Ich hielte es beispielsweise für vertretbar, Stammzellen aus weiter entwickelten abgegangenen Föten zu gewinnen, die dann nicht mehr totipotent, sondern nur noch pluripotent sind." Die Stammzellen könnten dann für medizinische Experimente, zum Beispiel für die Züchtung von Oprganen, genutzt werden. Als "totipotent" bezeichnen Wissenschaftler embryonale Zellen, die sich jeweils zu einem ganzen Menschen entwickeln können; "pluripotente" Zellen sind dazu nicht mehr fähig. Wann der Verlust der Totipotenz eintritt, ist umstritten: Einschätzungen von Reproduktionsmedizinern variieren vom 8-Zell-Stadium des Embryos bis zum 32-Zell-Stadium.

    Technisch möglich ist die PID, die noch eine experimentelle Methode ist, laut internationalen Publikationen bisher bis zum 12-Zell-Stadium. Zur rechtlichen Zulassung hierzulande bemerkte Catenhusen: "Und ähnlich wie es zur Einführung der (Abtreibungspille) RU 486 keiner Gesetzesänderung bedarf, könnte die Präimplantationsdiagnostik an etwas älteren Embryonen möglich sein, die nicht mehr totipotente, sondern nur noch pluripotente Zellen enthalten, ohne das Embryonenschutzgesetz anzutasten. Auch das gilt es zu prüfen."

"Diese Forschung muß auch das Risiko in Kauf nehmen,
daß ein Embryo die dazu notwendigen Untersuchungen nicht überlebt."
    Für medizinrechtliche Fragen ist im Gesundheitsministerium seit Jahren der Jurist Rudolf Neidert zuständig. Der Ministerialrat hatte bereits vor der Bundestagswahl behauptet, die PID sei "nach wohl richtiger Auffassung ... an nicht mehr totipotenten Zellen nach dem Embryonenschutzgesetz nicht verboten". Da seine Auslegung, wie Neidert einräumte, "auch bestritten werden kann", empfehle sich eine entsprechende Klarstellung, sollte das Gesetz novelliert werden. Anders als der Rechtsgelehrte aus dem Gesundheitsministerium waren sich JuristInnen jahrelang darüber einig gewesen, daß die PID hierzulande nicht zulässig sei, weil das Embryonenschutzgesetz verbietet, Embryonen zu einem anderen Zweck zu erzeugen als zum Herbeiführen einer Schwangerschaft.

    Neidert empfiehlt in seinem im August erschienenen Aufsatz für die Zeitschrift Medizinrecht, die Voraussetzungen für genetische Untersuchungen an Embryonen "sollten auf Fälle schwerster Erbkrankheiten beschränkt und so formuliert sein, daß einer ausufernden Anwendung ein Riegel vorgeschoben ist". Einzelheiten könnten in Richtlinien der Bundesärztekammer (BÄK) festgelegt werden, und tatsächlich beschäftigt sich ein BÄK-Arbeitskreis längst mit dem Thema.

    Noch gibt es offiziell keine BÄK-Papiere und Gesetzentwürfe, die Catenhusens und Neiderts Vorstellungen in Paragraphen gekleidet haben. Doch seit Wochen kursiert in Bonn das Gerücht, eine Reform des Embryonenschutzgesetzes oder gar ein neues "Fortpflanzungsmedizingesetz" seien in Vorbereitung. Neidert selbst hatte im Dezember gemutmaßt, politische Entscheidungen würden wohl Anfang 1999 fallen.

     Mitmischen will auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die seit Jahren für die Zulassung von Präimplantationsdiagnostik und Embryonenforschung streitet. "Diese Forschung", heißt es in der DFG-Denkschrift Forschungsfreiheit von 1996, "muß auch das Risiko in Kauf nehmen, daß ein Embryo die dazu notwendigen Untersuchungen nicht überlebt." Nun hat die DFG nach Darstellung ihres Präsidenten Ernst-Ludwig Winnacker "eine Kommission eingesetzt, die sich mit den rechtlichen, ethischen und wissenschaftlichen Fragen im Umfeld der Forschung an embryonalen Stammzellen befaßt". Ziel sei es unter anderem, "eine klare Stellungnahme dahingehend zu erarbeiten, welche Versuche nach geltendem Recht möglich sind und welche nicht". Das Votum soll Mitte März vorgelegt werden.


© KLAUS-PETER GÖRLITZER, 1999
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